Kreisteilungskörper

Kreisteilungskörper (auch: zyklotomische Körper) sind Studienobjekte des mathematischen Teilgebietes der algebraischen Zahlentheorie. Sie sind in gewisser Hinsicht besonders einfache Verallgemeinerungen des Körpers der rationalen Zahlen.

Definition

Es sei n > 2 {\displaystyle n>2} eine natürliche Zahl. Dann ist der n {\displaystyle n} -te Kreisteilungskörper diejenige Körpererweiterung Q ( μ n ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\mu _{n})} von Q {\displaystyle \mathbb {Q} } , die durch Adjunktion der Menge μ n {\displaystyle \mu _{n}} aller n {\displaystyle n} -ten Einheitswurzeln entsteht.

Eigenschaften

  • Ist ζ n {\displaystyle \zeta _{n}} eine primitive n {\displaystyle n} -te Einheitswurzel, so ist das Minimalpolynom von ζ n {\displaystyle \zeta _{n}} das n {\displaystyle n} -te Kreisteilungspolynom Φ n {\displaystyle \Phi _{n}} , deshalb ist
Q ( μ n ) = Q ( ζ n ) Q [ T ] / ( Φ n ( T ) ) . {\displaystyle \mathbb {Q} (\mu _{n})=\mathbb {Q} (\zeta _{n})\cong \mathbb {Q} [T]/(\Phi _{n}(T)).}
Insbesondere ist der Erweiterungsgrad [ Q ( μ n ) : Q ] = φ ( n ) {\displaystyle [\mathbb {Q} (\mu _{n}):\mathbb {Q} ]=\varphi (n)} mit der eulerschen φ-Funktion.[1]
  • Zwei Kreisteilungskörper Q ( μ n ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\mu _{n})} und Q ( μ m ) {\displaystyle \mathbb {Q} \mathbb {(} \mu _{m})} mit n < m {\displaystyle n<m} sind genau dann gleich, wenn n {\displaystyle n} ungerade ist und m = 2 n {\displaystyle m=2n} gilt.
  • Die Adjunktion der m {\displaystyle m} -ten Einheitswurzeln zu Q ( μ n ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\mu _{n})} ergibt Q ( μ N ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\mu _{N})} mit N = k g V ( m , n ) . {\displaystyle N=\mathrm {kgV} (m,n).}
  • Die Erweiterung Q ( μ n ) | Q {\displaystyle \mathbb {Q} (\mu _{n})|\mathbb {Q} } ist galoissch. Die Galoisgruppe ist isomorph zu ( Z / n Z ) × ; {\displaystyle (\mathbb {Z} /n\mathbb {Z} )^{\times };} ist ζ n {\displaystyle \zeta _{n}} eine primitive n {\displaystyle n} -te Einheitswurzel, so entspricht einem Element k ( Z / n Z ) × {\displaystyle k\in (\mathbb {Z} /n\mathbb {Z} )^{\times }} der durch
ζ n ζ n k {\displaystyle \zeta _{n}\mapsto \zeta _{n}^{k}}
definierte Automorphismus von Q ( μ n ) . {\displaystyle \mathbb {Q} (\mu _{n}).} [1]
  • Der Ganzheitsring von Q ( μ n ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\mu _{n})} ist Z [ ζ n ] {\displaystyle \mathbb {Z} [\zeta _{n}]} mit einer beliebigen primitiven n {\displaystyle n} -ten Einheitswurzel ζ n {\displaystyle \zeta _{n}} .[2]
  • Insbesondere ist der Ganzheitsring von Q ( μ 4 ) = Q ( 1 ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\mu _{4})=\mathbb {Q} ({\sqrt {-1}})} gleich dem Ring der ganzen gaußschen Zahlen, der Ganzheitsring von Q ( μ 3 ) = Q ( μ 6 ) = Q ( 3 ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\mu _{3})=\mathbb {Q} (\mu _{6})=\mathbb {Q} ({\sqrt {-3}})} ist gleich dem Ring der Eisenstein-Zahlen. Diese beiden Zahlkörper sind die einzigen algebraischen Erweiterungen der rationalen Zahlen, die sowohl Kreisteilungskörper als auch quadratische Erweiterungskörper sind.

Diskriminante und Verzweigung

Die Diskriminante von Q ( ζ n ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\zeta _{n})} für n > 2 {\displaystyle n>2} ist[3]

Δ Q ( ζ n ) = ( 1 ) φ ( n ) 2 n φ ( n ) p n p φ ( n ) p 1 . {\displaystyle \Delta _{\mathbb {Q} (\zeta _{n})}=(-1)^{\frac {\varphi (n)}{2}}{\frac {n^{\varphi (n)}}{\prod _{p\mid n}p^{\frac {\varphi (n)}{p-1}}}}.}

Die in Q ( ζ n ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\zeta _{n})} verzweigten Primzahlen sind gerade die Primteiler der Diskriminante. Insbesondere ist eine ungerade Primzahl genau dann verzweigt in Q ( ζ n ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\zeta _{n})} , wenn sie ein Teiler von n {\displaystyle n} ist. Die 2 {\displaystyle 2} ist genau dann verzweigt, wenn 4 n {\displaystyle 4\mid n} . Eine Primzahl p {\displaystyle p} ist genau dann voll zerlegt, wenn p 1 ( mod n ) {\displaystyle p\equiv 1{\pmod {n}}} gilt.[4]

Ist n = ν > 2 {\displaystyle n=\ell ^{\nu }>2} eine Primzahlpotenz, so ist {\displaystyle \ell } die einzige verzweigte Primzahl in Q ( ζ ν ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\zeta _{\ell ^{\nu }})} . {\displaystyle \ell } ist dann unzerlegt und vollständig verzweigt. Man kann zeigen, dass 1 ζ ν {\displaystyle 1-\zeta _{\ell ^{\nu }}} ein Element mit Norm {\displaystyle \ell } ist. Das einzige Primideal über {\displaystyle \ell } ist also das Hauptideal, das von 1 ζ ν {\displaystyle 1-\zeta _{\ell ^{\nu }}} erzeugt wird:

( ) = ( 1 ζ ν ) ν 1 ( 1 ) . {\displaystyle (\ell )=(1-\zeta _{\ell ^{\nu }})^{\ell ^{\nu -1}(\ell -1)}.}

Für die Diskriminante ergibt sich Δ Q ( ζ ν ) = ± ν 1 ( ν ν 1 ) {\displaystyle \Delta _{\mathbb {Q} (\zeta _{\ell ^{\nu }})}=\pm \ell ^{\ell ^{\nu -1}(\nu \ell -\nu -1)}} .[5]

Satz von Kronecker-Weber

Der Satz von Kronecker-Weber (nach L. Kronecker und H. Weber) besagt, dass jeder algebraische Zahlkörper mit abelscher Galoisgruppe in einem Kreisteilungskörper enthalten ist. Die maximale abelsche Erweiterung von Q {\displaystyle \mathbb {Q} } entsteht also durch Adjunktion aller Einheitswurzeln.

Idealklassengruppe

Die Klassenzahl h n {\displaystyle h_{n}} von Q ( ζ n ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\zeta _{n})} besteht aus zwei ganzzahligen Faktoren h n + {\displaystyle h_{n}^{+}} und h n {\displaystyle h_{n}^{-}} .[6] Hierbei ist h n + {\displaystyle h_{n}^{+}} die Klassenzahl des maximalen reellen Teilkörpers Q ( ζ n ) + = Q ( ζ n + ζ n 1 ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\zeta _{n})^{+}=\mathbb {Q} (\zeta _{n}+\zeta _{n}^{-1})} und h n := h n / h n + {\displaystyle h_{n}^{-}:=h_{n}/h_{n}^{+}} die Relativklassenzahl. Die Idealklassengruppe C n + {\displaystyle C_{n}^{+}} von Q ( ζ n ) + {\displaystyle \mathbb {Q} (\zeta _{n})^{+}} kann als Untergruppe der Idealklassengruppe C n {\displaystyle C_{n}} von Q ( ζ n ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\zeta _{n})} aufgefasst werden.[7]

Die Relativklassenzahl h n {\displaystyle h_{n}^{-}} kann mithilfe von Dirichlet-Charakteren und Bernoulli-Zahlen explizit bestimmt werden.[8]

Die Klassenzahl h n {\displaystyle h_{n}} von Q ( ζ n ) {\displaystyle \mathbb {Q} (\zeta _{n})} zu bestimmen, ist im Allgemeinen schwierig. Aus dem Satz von Brauer-Siegel, der eine Aussage über das asymptotische Verhalten der Klassenzahl macht, lässt sich folgern, dass h n {\displaystyle h_{n}\to \infty } für n {\displaystyle n\to \infty } . Insbesondere gibt es nur endlich viele Kreisteilungskörper mit Klassenzahl 1 {\displaystyle 1} .[9] Die vollständige Liste aller n {\displaystyle n} mit h n = 1 {\displaystyle h_{n}=1} lautet[10]

1 , 2 , 3 , , 22 , 24 , 25 , 26 , 27 , 28 , 30 , 32 , 33 , 34 , 35 , 36 , 38 , 40 , 42 , 44 , 45 , 48 , 50 , 54 , 60 , 66 , 70 , 84 , 90. {\displaystyle 1,2,3,\dots ,22,24,25,26,27,28,30,32,33,34,35,36,38,40,42,44,45,48,50,54,60,66,70,84,90.}

In genau diesen Fällen ist Z [ ζ n ] {\displaystyle \mathbb {Z} [\zeta _{n}]} ein Hauptidealring und es gibt eine eindeutige Primfaktorzerlegung von Elementen.

Die ungelöste Vandiver-Vermutung[11] sagt voraus, dass die Primzahl p {\displaystyle p} kein Teiler von h p + {\displaystyle h_{p}^{+}} ist.

Literatur

  • Serge Lang: Cyclotomic Fields I and II (= Graduate Texts in Mathematics. 121). Combined 2nd edition. Springer, New York NY u. a. 1990, ISBN 3-540-96671-4.
  • Jürgen Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Springer-Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-540-54273-6.
  • Lawrence C. Washington: Introduction to Cyclotomic Fields (= Graduate Texts in Mathematics. 83). Springer, Berlin u. a. 1982, ISBN 3-540-90622-3 (2nd edition. Springer, New York u. a. 1997, ISBN 0-387-94762-0).
  • Senon I. Borewicz, Igor R. Šafarevič: Zahlentheorie (= Lehrbücher und Monographien aus dem Gebiet der exakten Wissenschaften, Mathematische Reihe. 32). Springer, Basel 1966, ISBN 978-3-0348-6945-4.

Einzelnachweise

  1. a b Washington: Theorem 2.5 (S. 11 in der Google-Buchsuche).
  2. Neukirch: Satz I.10.2.
  3. Washington: Proposition 2.7 (S. 12 in der Google-Buchsuche).
  4. Neukirch: Korollar I.10.4.
  5. Neukirch: Lemma I.10.1.
  6. Nach Washington, Theorem 4.10 (S. 39 in der Google-Buchsuche) ist h n + {\displaystyle h_{n}^{+}} ein Teiler von h n {\displaystyle h_{n}} .
  7. Washington: Theorem 4.14.
  8. Washington: Theorem 4.17.
  9. Washington: Theorem 4.20 (S. 45 in der Google-Buchsuche).
  10. Washington: Theorem 11.1. – Die Liste wurde durch Doppelungen im Fall n 2 mod 4 {\displaystyle n\equiv 2\mod 4} ergänzt.
  11. Borewicz, Šafarevič: S. 243 in der Google-Buchsuche.